Industriekultur im Westen Belgiens: Wer durch das ehemalige Steinkohlerevier Borinage fährt, sieht verklinkerte Backsteinhäuser, stillgelegte Bahnlinien und immer wieder hoch aufragende Abräumhalden. Zeugen einer großen, arbeitsreichen Zeit, die in den 1960er Jahren abrupt endete und eine hohe Arbeitslosigkeit hinterlassen hat. Und die erwähnten Halden.
Eine dieser Halden heißt Terril Saint-Antoine, wurde zuletzt noch einmal von einer US-Firma ausgebeutet und liegt, jawohl, in unmittelbarer Nachbarschaft eines Fußballstadions. Fast wie einst beim SV Sodingen, möchte man meinen. Fußball und Bergbau, das gehört nicht nur im Ruhrgebiet zusammen, sondern auch im Borinage.
Bergauf statt bergab
Besagtes Fußballstadion hieß bis 2008 Stade Vedette, benannt nach der gleichnamigen Bergbauregion. Doch auch das ist Vergangenheit, inzwischen trägt die Sportstätte den Namen eines ehemaligen Klubpräsidenten. Immerhin: Anders als andere Vereine mit Zechennähe - Stichwort: Sodingen - ging es mit Boussu Dour Borinage statt bergab etwas überraschend steil bergauf: 1986 erreichte der damalige Drittligist noch unter dem alten Namen Francs Borains das Pokalhalbfinale (das vor 18.000 Zuschauern in La Louviere ausgetragen wurde und gegen Cercle Brügge 0:2 verloren ging), 2009 gelang sogar der Aufstieg in die 2. Liga.
Das Stade Robert Urbain fasst heute 8500 Zuschauer, wobei die Stehplätze mit 6500 klar in der Überzahl sind. Drei höchst unterschiedliche Tribünen stehen zur Auswahl: Eine kleine Old-School-Tribüne, für die Gäste überdachte Stehplätze und schließlich eine wuchtige Haupttribüne. Letztere wurde in der zweiten Hälfte der 80er gebaut, richtig fertig ist sie aber noch nicht: An beiden Enden ist noch Platz für Logen, die auch nach dem Aufstieg in die Zweitklassigkeit nie gebaut wurden.
Roma-Leihgabe schießt Boussu auf Platz eins
Gekommen sind gut 800 Zuschauer. Etwa 20 davon sind in Grün gekleidet, mit Trommel bewaffnet und machen durchgehend Lärm. Im Gästeblock finden sich 15 Fans mit Fähnchen und ebenfalls einigen Gesängen im Repertoire. Mit zunehmender Spieldauer lassen beide Seiten jedoch nach, plätschert die Begegnung doch etwas träge dahin. Nicht mit dabei ist leider Vise-Neuzugang Ioannis Masmanidis, der von der Stadionsprecherin noch angekündigt wird, sich aber beim Aufwärmen am Rücken verletzt hat. Bis zum einzig echten Höhepunkt dauert es dann geschlagene 82 Minuten. Dann fasst sich der vom AS Rom (!) ausgeliehene Jean Romaric Kevin Koffi ein Herz und hämmert den Ball aus 20 Metern in den Winkel. Damit ist Boussu Dour Borinage nach vier Spieltagen plötzlich Tabellenführer. Wo das wohl noch hinführt?
Bleibt der Blick auf die Stadionmusik - den heute ausnahmsweise nicht ich, sondern Mitfahrer Jürgen übernimmt. Dafür Danke! Mal schauen, ob er Geschmack hat :-)
Die Setlist von Boussu Dour Borinage:
1. Pitbull - Hotel Room. Bedient sich Beats aus "Push The Feeling On" der Nightcrwalers, gut.
2. Laurent Wolf - No Stress. Guter Sound. "I don´t wanna work today" heißt es weiter. Passt oft montags und an anderen Wochentagen.
3. David Guetta - Sexy Chick. Einfach keine Stadionmusik. Kommt über die Lautsprecher fast immer schlecht an.
4. Bob Sinclair - Everybody Dance Now. Da verharre ich aus Protest mal ganz ruhig an Ort und Stelle.
5. Bon Jovi - It' my life. Ein deutscher Autobauer hat vor Jahren für eines seiner Autos ein Sondermodell Bon Jovi herausgebracht. Dann kam 2009 die Abwrackprämie...
6. Jakarta - One Desire. Das war mal ein Hit, nein. 4 Monate auf Platz 2, nein, glaub ich nicht. Ach so, in Frankreich.
7. Magic System - Bouger Bouger. Die sind ja lustig. Musik mit Spaßfaktor, prima.
8. David Guetta - Tomorrow Can Wait. Schon, aber die nächsten 3 Minuten sollen dann doch schnell vorüber gehen, bitte!
9. Bodybangers - A far l'amore. Passend zum Wetter, aber leider nicht zu meinem Musikgeschmack.
Fazit: Sehr einseitig was die Musikrichtung angeht, so dass Bon Jovi als Stilbruch noch schlimmer wirkte. Die wenigen Highlights um die „Elefanten“ von Magic Systen lassen aber noch eine 4- zu. Zum Gesamtstand.
PS: Falls jemand noch ein wenig mehr über die Gegenwart der einstigen Bergauregion Borinage lesen möchte, sei ihm/ihr folgender Link empfohlen.