Luton Town - FC Liverpool 3:5 (FA-Cup, dritte Runde, 7.01.06)

Links die Gästetribüne, rechts die ersten VIP-BoxenEnglische Zeitungen sprechen später von "einem der verrücktesten FA-Cup-Spiele aller Zeiten", Trainer Mike Newell von einer "heldenhaften Vorstellung" seiner Mannschaft. Und in der Tat boten die 90 Pokal-Minuten zwischen Luton Town und dem FC Liverpool Dramatik pur: Der Zweitliga-Aufsteiger hatte den Champions-League-Sieger bereits am Rande einer Niederlage, ehe die Reds doch noch den Kopf aus der Schlinge zogen.

Doch von vorne. 50 Kilometer nördlich von London liegt Luton - ein typischer englischer Arbeitervorort mit reihenweise Backsteinhäusern und Pubs an jeder Ecke. Spötter meinen, das Beste an Luton sei die Autobahn M1 nach London. Realisten sprechen eher vom internationalen Flughafen, Träumer dagegen vom örtlichen Fußballklub. 1885 gegründet spielten die "Hatters" lange Jahre in der obersten Klasse, nach einem tiefen Fall in den 90er Jahren gelang 2005 immerhin die Rückkehr in die zweitklassige Football League Championship, gleichbedeutend mit der direkten Qualifikation für die 3. Runde des Pokals.

Hier wartet nun also der "Riese" FC Liverpool. Und plötzlich ist nichts mehr wie es war an der Kenilworth Road. Die BBC überträgt live und verstopft mit ihren Übertragungswagen die engen Straßen rund um das Stadion. Die Fans müssen auf ihr gewohntes Bier in der Nick Owen Bar verzichten, hier ist die Meute an Journalisten untergebracht. Und die 10.170 Sitzplätze sind untypisch für England schon eine halbe Stunde vor Anpfiff komplett besetzt.

Harry The Hatter glaubt an den Sieg

Bis dahin bekommen die Zuschauer ein nettes Rahmenprogramm geboten. Maskottchen Harry The Hatter, ein skurriles Männlein mit zu langen Kotletten, breitem Grinsen und selbstredend einem Hut auf dem Kopf, rennt über den Platz und klatscht jeden Luton-Spieler noch einmal auf den Allerwertesten. Der Stadionsprecher verkündet derweil alle fünf Minuten das Pokal-Aus des größten Rivalen. Der heißt nicht etwas Arsenal oder Chelsea, sondern FC Watford.

Dann geht es endlich los. Liverpool hat scheinbar noch beste Erinnerungen an das peinliche 0:1-Aus bei Zweitligist Burnley im Vorjahr und geht in der 16. Minute durch Steven Gerrard in Führung. Der Jubel fällt bescheiden aus - alles Routine, so scheint es. Dann jedoch überschlagen sich die Ereignisse. In der 31. Minute gelingt Steve Howard der Ausgleich, und während die Zuschauer an der pickepackevollen Kenilworth Road sich noch verwundert die Augen reiben, bringt Steve Robinson die "Hatters" kurz vor der Halbzeit unvermittelt in Führung. Das Stadion steht Kopf, die 2220 Liverpool-Fans schweigen betreten. Die Pause bringt 15 Minuten Zeit zum Luftholen, ehe das Spektakel weiter geht.

Nicholls trifft zum 3:1 für Luton

Der Kenilworth Stand, Heimat der HeimfansErster Aufreger ist ein Elfmeterpfiff für Liverpool. Doch Marlon Beresford pariert den Schuss von Cisse glänzend und leitet damit den Gegenzug ein, der mit einem weiteren Strafstoß und dem 3:1 durch Kevin Nicholls endet. Nun ist die Sensation zum Greifen nahe. Luton-Trainer Mike Newell, pikanterweise glühender Liverpool-Fan, ehemaliger Besitzer eine Dauerkarte an der Anfield Road und auch beim Champions-League-Finale in Istanbul dabei, dreht an der Linie beinahe durch.

Doch Liverpool bewies schon in der Türkei seine Comeback-Qualitäten, und so kommt es, wie es kommen muss: Binnen zwölf Minuten machen die Reds durch Florent Sinama Pongolle, Xabi Alonso aus 40 Metern und erneut Sinama Pongolle aus dem 1:3 ein 4:3, ein Tor schöner als das andere. In der Schlussminute schließlich sorgt Xabi Alonso mit einem Treffer aus 60 Metern ins leere Tor für das i-Tüpfelchen. Die Schlacht ist geschlagen.

10.170 Zuschauer verabschieden die Mannschaften mit Standing Ovations. Und irgendwo in England reibt sich Liverpool-Fan Adrian Hayward die Hände. Der 42-Jährige hatte vor Saisonbeginn knapp 300 Euro gesetzt, dass Alonso mit seinem Schuss aus der eigenen Platzhälfte erfolgreich sein würde. Die Belohnung: Ein stolzer Gewinn von 36.500 Euro. Irgendwie verrückt.

Symbiose aus vier unterschiedlichen Tribünen

Schauplatz der Begegnung war eines der skurrilsten Stadien Englands. Die Kenilworth Road, wo der Klub schon seit 1905 seine Heimspiele austrägt, ist eine Symbiose aus vier völlig unterschiedlichen Tribünen. Dem hölzernen "Main Stand" aus dem Jahr 1920 - Rauchen strengstens verboten! - stehen auf der Gegengeraden einzig und alleine 26 VIP-Boxen für nur 200 Personen gegenüber. Die Heimfans wiederum lassen sich hinter dem Tor auf einer modernen Sitzplatztribüne ("Kenilworth Stand") nieder, während auf der gegenüberliegenden Seite die Gästeanhänger eine Tribüne mit drei verschiedenen Dächern ("Oak Road Stand") besetzen. Verrückt, die Engländer. Pläne eines Neubaus oder gar Umzuges sind Gott sei Dank in der Schublade verschwunden, auch der Kunstrasen wurde wieder abgeschafft, sodass die Kenilworth Road sich noch auf viele umkämpfte Pokalspiele im englischen Regen freuen darf. In dieser Saison allerdings ist zunächst einmal Schluss.

(Im Original für bundesliga.de)