Ein echter Europarekord versteckt sich auf dem kleinen Fahrplan am Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen. Zwischen der S2 nach Bernau und dem RE3 nach Elsterwerda ist dort der "D 1249" gelistet. Abfahrt: Samstag, 15.19 Uhr. Ankunft in Nowosibirsk: Mittwoch, 8.45 Uhr. Stolze 5130 Kilometer liegen zwischen beiden Städten - eine längere Strecke ohne Umstieg gibt es von einem EU-Bahnhof aus nicht.
Über Polen und Weißrussland nach Sibirien
Genau das ist der Zug, der uns tief in den Osten bringen sollte. Nach der Anreise aus Mönchengladbach - natürlich mit der Bahn - ist ein blauer Kurswagen für fast 90 Stunden unser Zuhause. Über Warschau (Ankunft nach 7 Stunden) und Minsk (20) geht es nach Moskau (36), und von dort weiter über klangvolle Städte wie Nischni Nowgorod (42), Jekaterinburg (67) oder Omsk (81). Immer das Ruckeln des Waggons im Ohr, immer auf der Suche nach einer Mütze Schlaf.
Was macht man also zu zweit fast 90 Stunden lang im Zug? Nun, aus dem Fenster schauen (Bäume - viele Bäume), das Buch "1111 Fußballfragen" durchkauen (knappe Niederlage), Wasser für Instant-Nudeln kochen, an den Bahnhöfen den Mütterchen Essbares abkaufen, ab und zu den Pass vorzeigen und ansonsten, natürlich: Wodka trinken. Das nenn ich Urlaub. Fast schon schade, dass es irgendwann hieß: Endstation, alles aussteigen, wir sind da.
Nowosibirsk also. Nun, es gibt schönere Städte. Und wärmere. Aber als Durchgangsstation zu unserem eigentlichen Ziel - Kasachstan - erwies sich die drittgrößte Stadt Russlands als ideal. Zumal der Fußballgott mitspielte: Für unseren einzigen Abend war im Spartak-Stadion ein Drittligaspiel angesagt: Die Zweitvertretung des heimischen Vorzeigeklubs Sibir empfing den "Nachbarn" Metallurg Kuzbass aus dem 300 Kilometer entfernten Nowokusnezk. Also schnell ein Foto vor der Lenin-Statue am Lenin-Platz und ab ins Stadion.
Schwer zu finden ist der 12.500 Zuschauer fassende All-Seater nicht - die herrlich großen Flutlichtmasten weisen früh den Weg. Durch ein kleines Tor und vorbei an einer Galerie verdienter russischer Sportler geht es hinein ins weite Rund - leider wie befürchtet ohne rollenden Rubel. Eintrittskarte? Njet.
500 Zuschauer sehen fünf Tore im Stadion Spartak
Innen empfängt den Besucher ein wegen der Laufbahn leider recht weitläufiges Stadion, das nur an drei Seiten ausgebaut ist. Blickfang der 1927 eröffneten Spielstätte ist die Haupttribüne mit ihrem wuchtigen Mauerwerk; die Gegengerade sowie die einzige Hintertortribüne sind dagegen eher bescheiden. Die vierte Seite ist sogar gänzlich offen, sieht man einmal von der riesigen, topmodernen Anzeigetafel ab. Hier gibt es Informationen satt - bis hin zum Text der russischen Nationalhymne, die vor Anpfiff pflichtbewusst gesungen wird.
Offiziell 500 Zuschauer - gefühlt maximal die Hälfte - sehen zwischen Schlusslicht Sibir und dem souveränen Tabellenführer eine einseitige Partie. Am Ende heißt es 0:5, leider ist auch bei den Toren kein einziger Gästefan auszumachen. Die wenigen Anhänger mit Sibir-Schal schimpfen derweil wie ein russischer Rohrspatz - der Abstieg der "Zwoten" scheint kaum noch zu vermeiden.
Nach kurzer Nacht in einem endlich wieder vernünftigen Bett ist das Kapitel Nowosibirsk dann auch schon wieder beendet. Nächster Halt: Almaty, Kasachstan.